„Ganz wichtiges Zeichen“

Jung in GL. Die Demonstrationen für Demokratie, gegen Rassismus und Rechtsextremismus sind natürlich auch Thema bei der jungen Generation. Was denken junge Menschen in Gladbach darüber: Reichen die Demonstrationen aus, um die Demokratie zu sichern?

Seit dem Bekanntwerden des Treffens von Politikern mit äußerst rechtsextremer Gesinnung in Potsdam ist scheinbar nichts mehr wie vorher. Journalisten vom Medienunternehmen Correctiv hatten berichtet, dass dort in einer Villa ernsthaft über die Deportierung von Millionen in Deutschland lebender Menschen diskutiert wurde – weil sie nicht-deutscher Herkunft sind. Mit dabei laut Correctiv waren auch AfD-Politiker.

„Ob Menschen mit oder ohne Migrationsgeschichte, Menschen mit oder ohne Behinderung. Wir alle, wir alle sind gefordert. Unsere wertvolle Demokratie in Deutschland ist ernsthaft gefährdet“, sagt Handan Çetinkaya-Roos. Seit 2006 lebt sie mit Mann und zwei Töchtern in Bergisch Gladbach, ist Politikwissenschaftlerin und Bildungscoach, versteht sich als Kulturmittlerin, setzt sich seit über 20 Jahren für den Dialog der Kulturen ein. Auch in ihrer eigenen Familie. Ihr Mann ist Deutscher und Christ, sie Türkin und Muslimin. „Wir alle sind Erdenbürgerinnen und Erdenbürger. Wir sehen, was passiert, wenn die Demokratie gefährdet ist. Rassismus steckt leider überall. Jeden Tag spüren Menschen Rassismus, Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit. Auch in Bergisch Gladbach.“

Rassismus steckt leider überall. Jeden Tag spüren Menschen Rassismus, Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit. Auch in Bergisch Gladbach.“

Als Bildungscoach arbeitet sie viel mit Jugendlichen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen, bekommt mit, wie junge Menschen über die politische Situation in Deutschland denken und setzt sich auch dort für den nachhaltigen Erhalt der Demokratie ein. „Ich mache mich an Schulen stark, wenn es um die Stärkung der Demokratie geht. Ich führe Workshops durch und setze mich für junge Menschen in Schulen ein, wenn sie auf ihrem Bildungsweg Rassismus oder Diskriminierung erfahren. Ich gehe auch direkt zu Gesprächen an Schulen, um Betroffene zu stärken. Als Bildungscoach und Kulturmittlerin höre ich leider sehr oft von jungen Menschen, die rassistische Erfahrungen machen.“

Was aber sagen nun die jüngeren Menschen? Über Çetinkaya-Roos bekommen wir den Kontakt zum ehemaligen Schülersprecher am NCG. Elvin von Lonski (19) hat dort 2023 sein Abitur gemacht, war auch Mitglied der Bezirks-Schülervertretung Rhein-Berg, studiert jetzt Volkswirtschaftslehre in Köln. Er sagt: „Das rechtsextreme Geheimtreffen mit AfD-Zugehörigen bestätigt alte Ängste und hat nun auch in weiten, bürgerlichen Teilen der Gesellschaft große Bestürzung ausgelöst. Dass deshalb so viele für den Schutz unserer Demokratie auf die Straße gehen, ist ein gutes Zeichen. Viel wird hier bereits unternommen.“ Aber er ist auch unsicher, ob diese Demos ausreichend sind, um den Weg von Rechtsextremen in die Regierungsverantwortung zu stoppen. „Das Problem sind eben nicht die, die demonstrieren, sondern die, die wir damit noch nicht erreicht haben. Jeder, der sich bereits vorher politisch engagieren oder einer Partei beitreten wollte, sollte sich das deshalb zum Anlass nehmen. Doch auch an alle anderen appelliere ich: Lasst uns hier nicht aufhören. Bleibt politisch und bleibt dran an Freunden, Familie, oder der eigenen Gruppe. Bildet Euch politisch weiter, lernt die kennen, die der AfD „zu anders“ sind und nehmt dabei jemanden mit, der es vielleicht nicht von allein täte.“

[Ich halte es] für essenziell, dass jede und jeder persönlich aktiv wird. Wählen gehen, seine Stimme erheben und sich vor allem mit den eigenen Privilegien auseinandersetzen.“

Auch die Tochter von Çetinkaya-Roos hat eine klare Haltung. Senem Roos ist 17 Jahre, Abiturientin am NCG und ebenfalls in der Schülervertretung aktiv. An ihrer Schule setzt sie sich für diese Themen ein und konnte in Zusammenarbeit mit der mobilen Beratung des NS-Dokumentationszentrums einen Fortbildungstag der Lehrerschaft zum Thema Rassismus koordinieren. „Diskriminierung ist ein systematisches Problem“, sagt sie. „Sie ist leider internalisiert und schwer aus den Köpfen zu bringen. Aber zu sehen, dass so viele Menschen bundesweit auf die Straße gehen und sich gegen die AfD solidarisieren, spendet Hoffnung und Mut.“

Ihre Schwester Leyla Roos (20) war auch am NCG und studiert jetzt in Köln. „Die aktuellen Demos setzen ein ganz wichtiges Zeichen. Eine breite Masse der Gesellschaft positioniert sich gegen Rechtsextremismus. Darüber hinaus halte ich es für essenziell, dass jede und jeder persönlich aktiv wird. Wählen gehen, seine Stimme erheben und sich vor allem mit den eigenen Privilegien auseinandersetzen. Das bedeutet auch, sich für Menschen einzusetzen, die Diskriminierung und Rassismus erfahren. Jeden Tag aufs Neue.“

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