Stadtgespräch. Die Situation für den Einzelhandel war schon schlechter. Als die Corona-Pandemie über den Globus rollte und Lockdowns die Innenstädte lahmlegten, war vom Einzelhandel nicht mehr viel zu sehen. Lediglich die Lebensmittler waren weniger hart betroffen.
Anfang April 2023 wurde die Pandemie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach offiziell für beendet erklärt. Seither ist mehr als ein Jahr vergangen. Wie ist es um den Handel ein gutes Jahr später bestellt? Diese Frage erörterte GL KOMPAKT mit Dorothea Wahle, Regionalvorsitzende des Handelsverbandes Nordrhein-Westfalen Rheinland und Marcus Otto, Geschäftsführer der Geschäftsstelle Bergisch Gladbach. Beide sehen das Dilemma, in dem sich der Handel derzeit befindet. Das Internet ist der größte Konkurrent und gleichzeitig sind die Menschen in eine ängstliche Stimmung verfallen: „Krieg, kein Vertrauen in die Regierung, viele sind der Corona-Zeit seelisch belastet entkommen“, so belegt Dorothea Wahle ihre Einschätzung. „Öffnungszeiten mit einhergehenden Personalproblemen machen die Sache nicht besser“, ergänzt Marcus Otto.
Und doch gibt es den Silberstreif am Horizont. „Viel Fantasie ist gefragt, um die Innenstädte wieder zu beleben“, weiß Otto. Und Wahle hat direkt einen Tipp parat: „Wir vom Einzelhandel versuchen den Kunden eine Stunde Urlaub von ihren Sorgen zu schenken. Die Menschen fühlen sich dann wohl und genießen den Moment. In dieser guten Stimmung erfüllen sie sich auch Wünsche.“ Sie empfiehlt ihren Händlerkolleginnen und -kollegen, den Kundinnen und Kunden etwas zu bieten: „Erlebnisshopping oder Ladys-Night kommen immer gut an, das ist Erlebniseinkauf pur, wenn dann das Umfeld stimmt. Da kann das Internet nicht mithalten“.
Sehr ähnlich sieht es Marcus Otto, der darauf setzt, die Menschen nicht nur in die Innenstädte zu locken, sondern deren Verweildauer dort zu verlängern. Er bringt es auf den Punkt: „Im Einzelhandel gibt es ein Nachfolgerproblem. Immer weniger junge Menschen machen sich im Non-Food-Bereich selbstständig. Doch im Gegensatz dazu läuft das Food-Geschäft. Deshalb muss mehr davon in die Innenstädte verlagert werden, um so die Verweilqualität zu erhöhen.“ Auch Otto spricht davon, dass die Händler den Menschen etwas bieten müssen. Das Einkaufen müsse wieder zum Erlebnis werden, sagt er: „Kinderbetreuung, Lesemeilen – es gibt viele Beispiele und Möglichkeiten, die Innenstädte und Fußgängerzonen wieder zu beleben, auch ohne verkaufsoffene Sonntage.“ Aber er spricht die kommunalen Verwaltungen an. „Wir brauchen mehr Hilfe, wertschätzende Kommunikation und flexible Lösungen für Veranstaltungen in der City.“
Dorothea Wahle ist optimistisch, dass der Bedarf in den nächsten Jahren wieder steigen wird, nachdem sich die Menschen mit vielen Dingen während der Corona-Krise eingedeckt haben: „Gartenstühle kaufen statt in Urlaub zu reisen“. Sie weiß aber auch, dass die Angebote der Händlerschaft noch Luft nach oben haben: „Unsere Empfehlung ist es, den Kunden etwas zu bieten und sie etwas erleben zu lassen. Wir wissen nicht, was kommt, aber es ist sinnvoll, optimistisch zu denken und darauf zu vertrauen, dass sich die Menschen wieder etwas gönnen wollen.“ Marcus Otto sieht das große Ganze: „Der Einzelhändler braucht die Chance, in einem Umfeld aktiv zu sein, das ihm erlaubt, Geld zu verdienen. Diese Rahmenbedingungen muss die Kommune schaffen.“
Deutschlandweit sind innerhalb der letzten fünf Jahre 40.000 Einzelhändler in die Pleite gerutscht. Davon ist Bergisch Gladbach weit entfernt. Refrath, Bensberg und auch die City stehen noch gut da. Wenn die Händler optimistisch und kreativ bleiben und den Empfehlungen des Handelsverbandes folgen, werden sie mit Sicherheit auch die aktuelle Hürde überwinden und wieder in bessere Umsatzregionen vordringen.