RECHTSTIPP. Kirchlich Beschäftigte in der Klemme – wann sie dürfen und wann nicht …
Nicht weit von hier, nämlich in Dortmund, lebt eine Frau, die angibt, sie habe sich als Hebamme in besonderer Weise dem Kinderschutz verschrieben und mit ihrem Austritt aus der katholischen Kirche darauf reagiert, dass die Missbrauchsfälle strafrechtlich nicht verfolgt würden. Sie werde sofort wieder in die Kirche eintreten, wenn die Schuldigen bestraft würden. Unmittelbare Folge ihres Kirchenaustrittes war die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch das Krankenhaus, an dem sie beschäftigt war. Das Krankenhaus ist nämlich mit der Caritas verbunden. Dieselbe Klinik beschäftigt allerdings auch Hebammen, die von vornherein nicht der katholischen Kirche angehört haben.
Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte ausgeführt, die Lossagung von der Kirche sei verwerflicher als die Nichtzugehörigkeit ohne vorherigen Austritt. Daher bestehe keine Vergleichbarkeit dieser beiden Personengruppen.
Das Bundesarbeitsgericht will nun vom Europäischen Gerichtshof wissen, ob das wirklich mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist. Ist es – arbeitsrechtlich – etwas anderes, wenn man trotz erklärtermaßen bestehender Verbundenheit zur katholischen Kirche diese verlässt, als wenn man von vornherein nicht dazugehört?
Der Europäische Gerichtshof wird in das Jahr 2018 zurückblicken und die den geneigten Leserinnen und Lesern möglicherweise noch erinnerliche „Chefarzt“-Entscheidung wieder hervorholen. Gegenüber dem Chefarzt, der gegen das Wiederverheiratungsverbot verstoßen hatte, durften die binnenkirchenrechtlichen Normen nicht angewendet werden. Die Tätigkeit eines Chefarztes ist nämlich nicht „verkündigungsnah“. Es ist bei der medizinischen Versorgung von Patienten völlig wurscht, ob der Arzt dieser oder jener Religionsgemeinschaft angehört; die Versorgung bleibt dieselbe, so oder so.
Die Dortmunder Hebamme wird das Verfahren wohl gewinnen. Die Kinder, denen sie in diese Welt hineinverhilft, kümmert es nicht, ob sie katholisch ist. Kaum nachvollziehbar, dass man dies anders bewerten möchte. Und das tut der Arbeitgeber ja noch nicht einmal – siehe oben. Dennoch hat er gekündigt. Nun ja.
Der Verfasser möchte niemanden ermuntern, die katholische Kirche zu verlassen. Allerdings dürfte gelten, dass so mancher, der bislang aus Angst vor einem Jobverlust nicht ausgetreten ist, dies mit ruhigem Gewissen tun darf. „Der springende Punkt besteht darin, dass kirchlich Beschäftigte, die keine religiös tatsächlich relevanten Funktionen ausüben, vom EU-Diskriminierungsverbot beziehungsweise vom Gleichbehandlungsgebot geschützt werden“ (Kress, Institut für Weltanschauung, 28. September 2022). Da kann die Kirche nichts machen.
© Schopps-fotografie
Andreas Maria Klein, geboren 1960, studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten in Bonn, Münster und Köln. Er ist seit 1991 als Rechtsanwalt zugelassen und führt seit 1996 den Fachanwaltstitel für Arbeitsrecht. Andreas Maria Klein ist Sozius in der Kanzlei Leonhard & Imig.
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